Rezensionen:

Der Goldene Kompass- Das Spiel zum Buch
Brettspiel für 2-4 Personen ab 10 Jahren von Inga und Markus Brand aus dem Kosmos Verlag

Nachdem ich erste Eindrücke von Material und Grafik schon gepostet habe (hier im Merch-Thread), möchte ich jetzt den Spielgehalt des Spiels beschreiben und bewerten.

Worum geht es? Es wird Lyras Reise in den Norden nachgespielt. Dabei sind alle wichtigen Stationen vorhanden. Von Oxford geht es über London, die Fens, Trollesund, Bolvangar und Svalbard bis hin zur Brücke zu den Sternen. Zwischen den einzelnen Orten liegen sechs, acht oder auf der letzten Etappe sogar 18 Felder. Auf diesen Feldern kann man Erfahrungen sammeln und zwar in den Wissensgebieten Staub, Panzerbären, Hexen und Norden. Wer also auf ein entsprechendes Feld zieht, darf sich auf seinem Alethiometer einen Erfahrungspunkt in diesem Spezialgebiet markieren (Pappchip auf Alethiometer wird vorgeschoben).

Dieses Wissen benötigt jeder zunächst um sogenannte Begegnungskarten abzuarbeiten. Hat man beispielsweise die Karte „Mrs. Coulter“ erhalten, muss man drei Wissenspunkte Staub und je zwei Wissenspunkte in Bären und Norden gesammelt haben. Dann muss man einen Teil dieser Punkte wieder abgeben (Marker auf Alethiometer wird zurückgeschoben) und man erhält eine Freundschaftskarte (z.B. Iorek), die einem im weiteren Verlauf permanent Vorteile verschafft. Außerdem gibt es eine weitere Begegnungskarte, die man jetzt abarbeiten muss. Bis zum Spielende muss man drei dieser Begegnungskarten (die immer etwas anspruchsvoller werden) gemeistert und in allen vier Wissensbereichen wenigstens drei Punkte gesammelt haben. Und natürlich muss man auf dem Zielfeld hoch im Norden angekommen sein.

Wie wird gezogen? Wir haben es hier mit einem durchaus neuartigen Zugmechanismus zu tun. Als Bewegungskarten dienen Lyra-Karten in den vier Spielerfarben. Wer am Zug ist, kann beliebig viele seiner Handkarten spielen (wenn sie denn passen) und für jedes Feld, das man mit einer Karte erreicht, einen Wissenspunkt einsammeln. So ist es durchaus möglich während eines Zuges mehrere, bisweilen sogar recht viele Wissenspunkte einzukassieren. Nun bremsen aber zwei Regeln allzu ungestümes Vorziehen. Nach jeder Runde wird geschaut, wer ganz vorne steht, der erhält nur eine neue Karte. Das staffelt sich dann bis zum vierten (letzten) Spieler, der immerhin vier neue Handkarten bekommt. Es ist also zunächst einmal klug hinten zu bleiben, dann erhält man mehr. Außerdem dürfen nach einem Drittel der Strecke nur noch Karten in den Farben der Mitspieler gespielt werden, die vor der eigenen Figur stehen. Ist man selber ganz vorne, werden Karten in der eigenen Farbe gelegt. Aber auch die Letzten in der Reihe haben Nachteile. Da nur freie Felder zählen und angelaufen werden können, sind, wenn man mehrere Figuren vor sich stehen hat, manche lukrativen Felder besetzt, die man nicht ansteuern kann. Und wer sich allzu weit zurückfallen lässt, verpasst im Endspurt u.U. den Anschluss. Da bedarf es schon eines gehörigen Kartenmanagements um den eigenen Zug zu optimieren. Das ist das Neuartige an diesem Wettlaufspiel und hat einen ganz eigenen Reiz.

Es gibt auch noch Pan-Karten, die man beim Anhalten auf den Zwischenstationen (Oxford, London, etc.) erhält. Sie ermöglichen punktuelle Vorteile, die man geschickt nutzen kann und das schon erwähnte Kartenmanagement noch vielschichtiger machen. Wann aber der richtige Zeitpunkt zum Spielen dieser Karten sein wird, weiß man nie genau. Es besteht also auch beim Hantieren mit den Pan-Vorteilskarten ein gewisses Risiko.

Wer gewinnt? Natürlich muss man zuerst im hohen Norden (Zielfeld) ankommen, dort das Erledigen dreier Begegnungskarten nachweisen und in jedem Wissensgebiet drei Erfahrungspunkte belegen können. Um zum Ende hin noch einmal den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen, gibt es auf der letzten Teilstrecke zusätzlich etliche Eisfelder, die nur mit Aufwand überwunden werden können. Aber auch hier lässt sich mit Geschick und dem optimalen Ausnutzen der Gunst des Augenblicks den Gegnern ein Schnippchen schlagen.

Wie ist der Spielspaß? Er ist hoch und gut. Auch wenn man nicht direkt gegen die Mitspieler agieren kann, so lässt sich doch mit Blick auf deren Möglichkeiten so mancher Schachzug realisieren, der den Mitspielern missfällt. Das Optimieren des Ausspielens der eigenen Handkarten macht den Reiz aus, wobei diese Aufgabe bei jedem Zug Entscheidungen abverlangt. Dabei ist eine gesunde Mischung an Glücksmomenten (beim Nachziehen der Karten) und taktischen Eingriffsmöglichkeiten (beim Ausspielen der Karten) gegeben. Das Spiel ist ganz sicher gut ausbalanciert. Natürlich muss man sich den Spielrhythmus über die Regel (gut gegliedert, gut bebildert) erst anlesen und verstehen lernen. Nach einer Partie (die etwa 60 Minuten dauert), weiß man, wie es funktioniert. Vor allem bekommt man ein von Autoren (Inga und Markus Brand) entwickeltes Brettspiel und nicht die sonst im Merchandising-Bereich vorkommenden Memory-, Monopoly- bzw. Mensch ärgere dich nicht-Klone. Am besten spielt sich „Der Goldene Kompass“ zu dritt oder viert (noch besser!), zu zweit fehlt etwas die wechselnde Dynamik beim Spiel in großer Besetzung.

Und der Bezug zu HDM? Wie schon in meinen Vorposts erwähnt, bezieht sich dieses Brettspiel auf das Buch und nicht auf den Film. Die Grafik und bisweilen die Namensgebung (Iofur statt Rakna) belegen das. Das stört aber gar nicht, zeigt vielmehr, dass es weitere gelungene Interpretationsmöglichkeiten gibt, als es uns der Film vorgaukelt. Vor allem ist das dem Grafiker Michael Menzel zu verdanken.

Allerdings gibt es thematisch auch Entscheidungen, die die Umsetzung nur vage an die Buchvorlage erinnern lassen. Da ist zunächst einmal der Umstand, dass sich vier Lyra-Figuren in Konkurrenz auf den Weg in den hohen Norden machen. Mmh! Natürlich hat dann jede Lyra auch ihr eigenes Alethiometer. Das ist lediglich eine bierdeckelgroße Pappscheibe, auf der die Wissenspunkte abgetragen werden. Also nix mit Zeigern, die eingestellt werden und Ergebnisse zeitigen. Auch wird deutlich, weil die Laufstrecke nicht in die wunderschöne Grafik integriert sondern einfach aufgelegt wurde, dass es sich hier eher um einen abstrakten Mechanismus handelt, der aber geschickt in die Geschichte eingebettet wurde: Alle wichtigen Personen tauchen auf Spielkarten auf und haben gemäß ihres Charakters Funktion im Spielgeschehen. Man wird von einem Spiel nicht erwarten dürfen, dass es eine Buchvorlage weitestgehend spiegelt. (Das kann ein Brettspiel noch weniger als ein Film oder PC-Spiel). Das ist hier auch nicht der Fall. Vor allem aber durch die Grafik und manche Buchbezüge wird HDM-Atmosphäre eingefangen. Das Spiel selber ist gut, neuartig und birgt Spannung bei moderater Spielzeit, sodass Interessierte ab 10 Jahren mitspielen können. Vor allem birgt dieser Zugriff auch den Vorteil, dass man das Buch (oder den Film) nicht kennen muss, um mitzuspielen. Vielleicht ergibt sich ja sogar das Umgekehrte, dass durch dieses Spiel mancher inspiriert wird das Buch zu lesen. Was will man mehr?

Gesamtwertung: 8 von 10 Punkten!

(Text erstellt von Radagast)